Neuendettelsau Entnazifizierung
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Entnazifizierung versagt

Dokumentation "Luteranos Brasil" - Teil 16

In den Nachkriegsjahren erfährt Georg Weger aus Briefen seines Freundes Adam Schuster über die Lage in Neuendettelsau: 

Brief von Adam Schuster an Georg Weger

Neuendettelsau steht noch […] Unser Seminar ist seit 27.1.46 wieder in Gang, Dank der freundlichen Genehmigung durch die amerik. Militärregierung. […] Herr Direktor [Eppelein] und Bruder Keyßer mussten aus bestimmten Gründen (pg) von ihren Ämtern zurücktreten. Bruder Vicedom ist Nachfolger Bruder Keyßer’s. 

Adam Schuster an Georg Weger, 1946

Die Bedingung für eine Wiedereröffnung des Missionsseminars von Seiten der Amerikaner besteht in einer „vollständigen Entnazifizierung“1 der Missionsanstalt. Deren nationalsozialistische Führungsriege, Missionsdirektor Dr. Friedrich Eppelein und Missionsinspektor Dr. Keyßer, ist für die amerikanische Militärregierung politisch untragbar und wird zum Rücktritt gezwungen.2

Im November 1945 rechtfertigen Eppelein und Keyßer ihren Parteibeitritt vom 1. Mai 1933 mit der Aussage:

Wie der Heidenmissionar Paulus bereit war, den Juden ein Jude zu werden und den Griechen ein Grieche, so wollten sie [Eppelein und Keyßer] den Nationalsozialisten ein Nationalsozialist werden, um ihnen dadurch wirksamer das Wort Gottes verkündigen zu können.

“Die politische Lage und ihre Auswirkungen auf die Neuendettelsauer Mission” dargestellt von Eppelein und Keyßer, 2. November 1945

Christian Keyßer

Christian Keyßer, Urgossvater des seit 2011 amtierenden Bayreuther Sektenbeauftragten Haringke Fugmann, schreibt 1946 an die Spruchkammer Ansbach:

Ich war Nazi aus Überzeugung und freiem Willen. 

Christian Keyßer, 1946

Leider hatte ich vor 1933 keine Gelegenheit, Adolf Hitler kennen zu lernen, ihn zu sehen oder zu hören. Vom Parteiwesen der Heimat [Weimarer Republik] angewidert wäre ich am liebsten wieder in’s Ausland gegangen, aber es fand sich keine passende Gelegenheit. 1933 ergriff mich der Umbruch in Deutschland mit aller Macht, so daß ich mich der Nat.-soz. Bewegung anschloß. Ich werde ihr die Treue halten und hoffe, daß ich als überzeugter Christ meiner christlichen Ueberzeugung leben kann. Echter Nationalsozialismus und ehrliches Christentum sind ja keine Gegensätze. – Heil Hitler

Auszug aus dem Lebenslauf von Christian Keyßer, 1940
Haringke Fugmanns Urgossvater Christian Keyßer
Christian Keyßer

Keyßer ist Aktivist und Nutzniesser des Systems. Die Spruchkammer stuft ihn 1946 als „Belasteten“ in die zweithöchste Belastungsstufe ein. Auf Zureden des bayerischen Landesbischofs Hans Meiser legt er gegen das gefällte Urteil Einspruch ein. Zwar steht er zu seiner Gesinnung, doch will er vor seinen Kindern und Enkeln nicht dokumentiert haben, dass er ein Verbrecher ist. Vor der Spruchkammer argumentiert er:

Ich vermag nicht einzusehen, dass meine einfache, gutgläubige Zugehörigkeit zur Partei ein Verbrechen sein soll.

Christian Keyßer, 1946

Die Militärregierung stuft Keyßer als Mitläufer ein – letztendlich wird er freigesprochen. 

Antisemit Hans Meiser

Der erklärte Antisemit Landesbischof Hans Meiser3 wird bis heute als angeblicher Widerständler gegenüber dem Nazisystem verklärt. Doch statt für eine Entnazifizierung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zu kämpfen, sorgt er für eine flächendeckende Amnestie ihrer Nazi-Pfarrer.4 Er nutzt die Unwissenheit der Amerikaner aus, für die es unvorstellbar ist, dass deutsche Pfarrer gleichzeitig glühend-fanatische Nationalsozialisten sein können. So werden die meisten Pfarrer rehabilitiert und nach 1945 wieder in ihre Positionen befördert.5 Auch Friedrich Eppelein kommt schnell wieder als Pfarrer unter – diesmal in Zirndorf in der Nähe von Fürth.6

Hans-Meiser-Straße Bayreuth, 2020

Hans Meiser Landesbischof

Hans Meiser 1933

Der Nazibischof Meiser ist massgeblich an der Gründung zahlreicher Institutionen beteiligt, die heute noch für die evangelische Landeskirche Bedeutung haben – auch in Neuendettelsau. Ihm ist die Gründung des Pastoralkollegs und der Augustana-Hochschule ’mitzuverdanken‘.7  

Renazifizierung

Georg Vicedom
Georg Vicedom

Eine Entnazifizierung der Missionsanstalt hat de facto nie stattgefunden. Das zeigt beispielsweise der Fall Georg Vicedom. Vicedom war bis 1939 Missionar in Neuguinea und Schüler Christian Keyßers. 1946 tritt er dessen Nachfolge als Missionsinspektor in Neuendettelsau an.

In seinem Lebenslauf 1940 schreibt er: 

Schmerzlich war es für mich auch, dass ich nicht in die A.O. [Auslandsorganisation] der NSDAP aufgenommen wurde, um so schmerzlicher, als ich mich mit meinem anderen Studiengenossen rege an dem nationalen Widerstand gegen den Kommunismus in den Jahren 1922-1929 beteiligte und wir als Glieder der Reichsflagge 1923 immer Gewehr bei Fuss standen, um mit dem Führer A. Hitler zu kämpfen. Bei meiner Rückkehr sahen wir den ungeheueren Aufstieg Deutschlands unter unserem geliebten Führer A.Hitler und ich bin glücklich die grossen geschichtlichen Entscheidungen daheim miterleben zu dürfen.

Auszug aus dem Lebenslauf von Georg Vicedom, 1940

Vicedom übernimmt 1956 den neu eingerichteten Lehrstuhl für Missionswissenschaft an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau. 1964 erhält er den Bayerischen Verdienstorden. Er gilt in ev.-luth. Kirchenkreisen als einer der „bedeutendsten Missionstheologen des 20. Jahrhunderts“.8

Im Jahr 1967 kommt auch der damalige Theologiestudent Rubens Horst in den Genuss von Georg Vicedom. Der Nazi-Pfarrer hält eine exklusive Gastvorlesung an der Theologischen Hochschule in São Leopoldo, Brasilien.9

1 Vorländer, Hermann: Kirche in Bewegung. Die Geschichte der evangelischen Mission in Bayern, 2014. S. 77
2 „Die politische Lage und ihre Auswirkungen auf die Neuendettelsauer Mission” dargestellt von Eppelein und Keyßer, 1945
3 Anm.: Der Antisemit Hans Meiser wurde 1933 in Bayreuth zum Landesbischof gewählt. In: Sommer, Wolfgang: Freimund – Kirchlich-politisches Wochenblatt für Stadt und Land. Eine regionale Zeitschrift in Franken zur Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus; Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 2013, Band 76 [Heft 3], S. 846
4 Vollnhals, Clemens: Evangelische Kirche und Entnazifizierung 1945-1949. Die Last der nationalsozialistischen Vergangenheit. S. 137; Klee, Ernst: Persilscheine und falsche Pässe. Wie die Kirchen den Nazis halfen, 1991. S. 14
5 ebd.
6 Grottke, Gotthard, In: Kirchengemeinde Bayreuth-Altstadt (Hrsg.); Unsere Altstadt. 100 Jahre Evangelische Kirchengemeinde Bayreuth-Altstadt. S.48
7 60 Jahre Augustana in Neuendettelsau, 2008. S. 33
8 Vorländer, Hermann: Kirche in Bewegung. Die Geschichte der evangelischen Mission in Bayern, 2014. S. 245
9 Schreiben von P. Lindolfo Weingaertner, April 1967 

Bildnachweis:
Titelbild: Ansichtskarte Neuendettelsau um 1940
Christian Keyßer – Rössler, Hans: Nationalsozialismus in der fränkischen Provinz: Neuendettelsau unterm Hakenkreuz, 2018
Website Rothenburg unterm Hakenkreuz, Hans Meiser wird als Landesbischof begrüsst (zuletzt gesehen am 16.04.2020)
Website Boston University: Georg Friedrich Vicedom, Photo courtesy of the Archives Mission EineWelt, Neuendettelsau, Germany (zuletzt gesehen am 16.04.2020)


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